[ewige werte]

„John Paul Superstar“ (eine Mini-Collage)

[08-04-05 / hw] Eigentlich wollten wir uns ja zu diesen Begebenheiten überhaupt nicht äußern. Ein IT-Bezug ist auch nicht ohne weiteres zu erkennen; andererseits: Eine so medienbewußte Institution wie der Vatikanstaat ist natürlich selbst im Internet präsent. Ein Fakt, der eine unserer Mitarbeiterinnen gleich erblassen und von der Modernität dieses Minisouveräns singen ließ. Naja. Die Mehrheit der Redaktion mochte sich jedoch nicht mit diesem Rummel vor, während und nach dem Verschwinden („la disparizione“ nennen es die Italiener, und andere Völker haben ähnliche Bezeichnungen, wenn es darum geht, daß jemand – meist recht schmerzvoll – die Erde verläßt) eines mächtigen Kirchenfunktionärs anfreunden. Lieber totschweigen lautete die Parole. Aber das geht nicht. Das gebietet schon die Ethik eines aufrechten Journalismus (siehe Le Monde diplomatique, April 2005).

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(1) Einführung. Und eine bis vor kurzem als erz-konservativ abgestempelte Zeitung wie die Neue Zürcher Zeitung, die wir natürlich jeden Tag penibelst lesen, wies dezent darauf hin, daß man hier einhaken müsse. So lasen wir denn etwas erstaunt gerade dort einige Sätze und Anmerkungen, die sich absolut kein Presseorgan des wiedervereinigten und gerade darum so dankbar-devoten Deutschlands zu eigen machen wußte. Für Anhänger des literarischen Prinzips der Collage sind die folgenden kurzen Beispiele mit Sicherheit nicht ausreichend – angesichts des allgemeinen Wahnsinns, der durch sämtliche Medien tobt. („Bild am Sonntag“ vom 3. April 2005 darüber, was den letzten Papst so lange leben ließ: „Sport und Beten“.)

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(2) Zitat 1. Die Neue Zürcher Zeitung vom 5. April 2005 veröffentlichte unter der Überschrift: „John Paul Superstar“ einen Artikel von Andrea Köhler aus den USA, gleichsam an der Quelle des Medienwahnsinns. Wir zitieren: „Wie steigert man Sterben? Wer es auf sich nahm, der CNN-Berichterstattung über das Scheiden des Papstes rund um die Uhr zu folgen, wohnte einem eher eigenartigen Schauspiel bei. Es sah aus, als sollten die letzten Stunden des katholischen Kirchenoberhaupts jene Tendenz der amerikanischen Öffentlichkeit zur Entfaltung bringen, die Papst Johannes Paul II. stets als eines der Übel des Kapitalismus geißelte: das Bestreben, aus allem Profit (in diesem Fall Zuschauerquoten und Werbeeinnahmen) zu schlagen, der Zwang, noch aus dem Tod eine Show zu machen. Das Gerede der Moderatoren, die mit ihrem Outfit dem Klerus nicht nur die Kanzel, sondern zugleich auch die Robe streitig zu machen wünschten (die Berichterstatter vom Petersplatz hatten sich an Schärpen gemahnende Seidenschals umdrapiert), die Eitelkeit der geladenen Studiogäste, die den Papst einmal aus der Nähe erlebt oder der Ferne gesehen hatten, und besonders das Flehen der Moderatoren um schnellere „updates“ müßten selbst dem medienerprobten Heiligen Vater schrill in den Ohren geklungen haben. Präludiert von dem öffentlichen Martyrium der Koma-Patientin Terri Schiavo, war der Tod des Papstes im US-Fernsehen vor allem eines: die Vergewisserung, daß das Leben ein Ende, die Übertragung desselben jedoch keine Grenzen hat.

Nachdem die Nachrichten vom schlechten Gesundheitszustand des Papstes sogar Terri Schiavos Familiendrama vom Bildschirm verdrängt hatten, steigerten sich die Kabel-Netzwerke – allen voran CNN – in eine Nachrichtenspirale hinein, die unter dem Titel „Developing Story“ geradezu nach Erlösung rief. Von den Studios daheim angefeuert – „es muß großartig sein, über dieses Ereignis berichten zu dürfen, Tom“ –, versuchten die Live-Reporter vor Ort ununterbrochen andere Formulierungen für denselben Befund zu finden. „Rebranding“ nennt man das hierzulande. Die Unterzeile hielt dabei nicht immer Schritt. Der Zustand des Papstes war „kritisch“, „schlechter“, „ernst“, „sehr ernst“, „in Gottes Hand“ und schließlich „nahe dem Tod“, während stählerne Moderatorinnen – „Was gibt es, was wir nicht wissen über den Papst, den wir so gut kennen?“ – Zeitzeugen ausquetschten und Kommentatoren bedrängten.“

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(3) Zitat 2. Bereits einen Tag vorher räumte die Neue Zürcher Zeitung dem in Deutschland auch von den einst liberalen Medien wie der Süddeutschen Zeitung totgeschwiegenen Papst-Kritiker Hans Küng einen prominenten Platz im Blatt ein. Unter der Überschrift „Blick hinter die Fassade“ durfte er dort am 4. April 2005 vom Leder ziehen: „Andere werden die positiven Seiten dieses Pontifikats ausführlich preisen: Johannes Paul II. – ein Verteidiger der Menschenrechte, Kämpfer für den Weltfrieden, Förderer des Dialogs der Religionen, Katalysator (nicht Urheber) des Zusammenbruchs des Kommunismus. Alles unbestritten, aber einseitig. Diese medial bestens inszenierte „Außenpolitik“ des Papstes steht im krassen Gegensatz zu seiner „Innenpolitik“: Innerhalb der Kirche unterdrückte dieser Papst die Freiheitsrechte, die der Theologen und der Frauen vor allem. Er polarisierte die Kirche und stiftete viel Unfrieden. Die ökumenische Verständigung blockierte er. Die nichtchristlichen Religionen betrachtete er als defizitäre Form des Glaubens. Durch rücksichtslose Personal- und Lehramtspolitik restaurierte er das durch das Vatikanum II erschütterte mittelalterliche römische System mit seinen totalitären Zügen. Freilich, je ferner man der Kirche steht, umso mehr sieht man nur die Fassade: Man sieht nicht die Massen, die dieser Papst seiner eigenen Kirche entfremdet hat, und läßt sich täuschen von gesteuerten päpstlichen Massenveranstaltungen: ein Personenkult, der keine Fragen an den Papst zuläßt, mit Hilfe römisch gesinnter „Movimenti“ (neuerer Laienbewegungen) medienwirksam organisiert.

Und was zeigt der Blick hinter die triumphalistische Kirchenfassade? Bischöfe gleichgeschaltet, Seelsorger überlastet, Theologen mit Maulkörben versehen, Laien rechtlos gehalten, Frauen diskriminiert, nationale Synoden und Kirchen-Volksbegehren ignoriert, dazu Pädophilie-Skandale, Diskussionsverbote, liturgische Gängelei, Predigtverbot für Laientheologen, Inquisition, Denunzierungsaufforderungen, Verhinderung der Abendmahlsgemeinschaft … Die frohe Aufbruchsstimmung und hohe Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche zur Zeit Johannes’ XXIII. und des Zweiten Vatikanischen Konzils sind dahin.“

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(4) Ausklang. Wer möchte sich da schon einmischen in die innerkatholischen Händel. Höchst erstaunlich ist es nur, daß die freiwillig gleichgeschaltete deutsche Presselandschaft solche kleinen Scharmützel schon gar nicht mehr, selbst am Rande, erwähnen möchte. „Wir alle trauern um den Papst.“ – So lautete die Sprachregelung, und so sieht sie aus, die an Tristesse nicht mehr zu überbietende Vielfalt an Medien hierzulande, egal ob Print oder TV oder sonstwie. Hilfreich könnte da der Blick in einen echten Klassiker sein: Ludwig Feuerbach hat mitten im 19. Jahrhundert ein wunderbares Buch mit dem Titel „Das Wesen des Christentums“ veröffentlicht. Das hat ihn unter anderem seine akademische Karriere gekostet (modern: Berufsverbot). Gibt es bei Reclam für 11,10 Euro. Versandfertig bei Amazon in 24 Stunden. Lohnt sich. Echt. Da steht alles drin. Ein kurzes Beispiel: „Der Mensch hat, wenigstens im Zustande des Wohlseins, den Wunsch, nicht zu sterben. Dieser Wunsch ist ursprünglich eins mit dem Selbsterhaltungstriebe. Was lebt, will sich behaupten, will leben, folglich nicht sterben. Dieser erst negative Wunsch wird in der spätern Reflexion und im Gemüte, unter dem Drucke des Lebens, besonders des bürgerlichen und politischen Lebens, zu einem positiven Wunsche, zum Wunsche eines Lebens und zwar bessern Lebens nach dem Tode. Aber in diesem Wunsche liegt zugleich der Wunsch der Gewißheit dieser Hoffnung. Die Vernunft kann diese Hoffnung nicht erfüllen. Man hat daher gesagt: Alle Beweise für die Unsterblichkeit sind ungenügend, oder selbst, daß sie die Vernunft gar nicht aus sich erkennen, viel weniger beweisen könne. Und mit Recht: die Vernunft gibt nur allgemeine, abstrakte Beweise; die Gewißheit meiner persönlichen Fortdauer kann sie mir nicht geben, und diese Gewißheit verlangt man eben. Aber zu solcher Gewißheit gehört eine unmittelbare, sinnliche Versicherung, eine tatsächliche Bestätigung. Diese kann mir nur dadurch gegeben werden, daß ein Toter, von dessen Tode wir vorher versichert waren, wieder aus dem Grabe aufersteht, und zwar ein Toter, der kein gleichgültiger, sondern vielmehr das Vorbild der andern ist, so daß auch seine Auferstehung das Vorbild, die Garantie der Auferstehung der andern ist. Die Auferstehung Christi ist daher das befriedigte Verlangen des Menschen nach unmittelbarer Gwißheit von seiner persönlichen Fortdauer nach dem Tode – die persönliche Unsterblichkeit als eine sinnliche, unbezweifelbare Tatsache.“ (Seite 216 f.)


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